Halloween oder Ludwig, Maykel und die Alraunen
von Christiane Wilms
Halloween oder Ludwig, Maykel und die Alraunen
von Christiane Wilms
Wir haben einen Hausgeist. Er heißt Ludwig und wir hören und spüren ihn oft. Ein leises Knarzen, Schritte hinter dir, obwohl du ganz allein im Haus bist. Ein – wie soll ich es beschreiben – flackernder Schatten an der Wand, manchmal auch ein Luftzug trotz geschlossener Fenster. Vor einigen Jahren, als wir ein paar Tage verreist waren, wollte eine Freundin unsere Blumen gießen und sah von draußen, vom Hof aus, an einem Fenster im ersten Stock eine dunkle Gestalt stehen. Ähm – sie hat das Haus nicht betreten und auch die Blumen nicht gegossen…
Vor vielen Jahrzehnten hat unser Geist hier mit seiner Schwester Karoline gelebt. Beide waren wohl sonderbare Einzelgänger, die nie wirklich zur Dorfgemeinschaft gehörten und es auch gar nicht wollten. Das munkeln jedenfalls die älteren Leute im Dorf, die die Geschichte von ihren Großeltern gehört haben. Eines Tages hat Ludwig sich in diesem Haus »entleibt«, so sagte man in jener Zeit, wenn ein Mensch sich umgebracht hatte.
Seine Seele zog nach seinem Tod nicht mit aus. Seit wir hier wohnen, ist er ein Teil unseres Lebens geworden und wir wollen ihn nicht missen. Ihr glaubt nicht, wie schnell man mit einem Hinweis auf Ludwig unliebsamen Besuch dauerhaft loswird! Aber es stellte sich heraus, dass auch Ludwig Besuch bekommt, wie im vergangenen Jahr zu Halloween. Seine Adresse hat sich in Gespensterkreisen natürlich im Laufe der vielen, vielen Jahrzehnte herumgesprochen. Und so stand frühmorgens ein völlig erschöpftes Skelettchen vor der Tür: Maykel aus Peru.
Geister reisen zwar durch die Luft (auf Gedankenwellen), doch auch das ist scheinbar recht anstrengend. Nicht, dass wir Maykel verstanden hätten, denn er spricht Quechua (das ist eine Sprache, die viele Dialekte und Abwandlungen kennt und nicht nur in Peru, sondern auch in anderen südamerikanischen Staaten gesprochen wird). Aber wir konnten dem armen Kerl ansehen, wie müde er war und boten ihm ein gemütliches Plätzchen zum Ausruhen an. Und dann durfte ich ihn tatsächlich fotografieren!
Es blieb nicht bei Maykel als einzigem Halloween-Gast. Zwei Alraunen, Schwestern, trudelten an diesem Tag auch noch bei uns ein und fort war alle Gespenster-Menschen-Behaglichkeit. Ihr wisst ja selbst, wie laut Alraunen schreien, sobald sie ihre dunkle, unterirdische Behausung verlassen! Zudem waren die beiden recht munter und ausgelassen, plapperten, kreischten, wirbelten und tobten bei uns ununterbrochen durch das ganze Haus – vermutlich gerade so wie ihr, wenn ihr euch als Halloween-Gespenster verkleidet habt und Süßes wollt …
Die Alraunen konnten Ludwig sehen und meinten, er sei mürrisch und »knorrig wie ein alter Baum«. Ich mochte und möchte mir gar nicht ausmalen, wie unser Ludwig so aussieht und drauf ist, ich muss ja weiterhin hier mit ihm leben. Also pflege ich nach Kräften meine Vorstellung von einem netten Bilderbuch-Opa.
Der peruanische Geist Maykel ist recht ruhig und pflegeleicht, ein angenehmer Gast, der gern hätte bleiben dürfen. Doch die Alraunen brachten mir den ganzen Haushalt durcheinander und trieben meinen Mann und mich allmählich zur Verzweiflung. Schaut selbst: Ehe ich mich versehen hatte, eroberten die Alraunen meinen Schreibtisch und führten fröhliche Tänzchen auf.
Wenigstens konnten die Alraunen-Schwestern unseren Maykel verstehen, sie dolmetschten für uns, und wir erfuhren, welche Vorlieben er hat: Vor allem liebt er … Kaffee! Trinken kann er ihn als Gespenst zwar nicht, aber er genießt den aus der Tasse aufsteigenden Duft. Die Alraunen dagegen leben von unserer Seele. Mir schien es damals so, als knabberten sie an unserer Geduld wie ihr an einem Keks …
So lebten wir in den Halloween-Tagen im totalen Geister-Ausnahmezustand und tranken ständig Kaffee, damit Maykel auch genug von diesem Aroma einsaugen konnte. Und wir mussten richtig viele Tassen trinken, stets begleitet vom Gelärme der Alraunen, und verloren langsam, aber sicher unsere Gelassenheit. Die drei gediehen prächtig – wir dagegen eher nicht. Da lobe ich mir doch unseren Ludwig, der nur gemütlich vor sich hin spukt, ansonsten aber nichts von uns will!
Peruanische Skelettchen und Alraunen sind wirklich anstrengend, und so überlegten wir, wie wir unsere drei Halloween-Besucher auf höfliche Art loswerden könnten. Schließlich kamen wir auf die Idee, ihnen von einem großen Schloss in Edinburgh in Schottland zu erzählen, wo ein kopfloser Trommler und weitere Spukgestalten umgehen sollen. Das hat sie ungemein fasziniert und, wie erhofft, sind sie schnell aufgebrochen, um die schottischen Kollegen zu besuchen. Und da Schottland voll von solch alten Spukschlössern ist, dürften sie dort nun wohl eine Weile beschäftigt sein … Bye, bye Maykel, bye, bye Alraunen!