Das unsichtbare Leben der Addie LaRue: Fantasy mit gratis Lebensweisheit
von Miriam Strieder
Das unsichtbare Leben der Addie LaRue: Fantasy mit gratis Lebens-weisheit
von Miriam Strieder
Hausaufgaben, Prüfung, Referat, Deadline, Abi, Ausbildung, Studium – irgendwie alles schon total verplant, tausend Erwartungen von Lehrern, Eltern, Freunden. Kennt ihr das? Mir ging das oft so und manchmal geht es mir jetzt auch noch so, obwohl ich einiges davon schon hinter mir habe. Auch Addie geht es so! Sie lebt aber 1714 und soll nun mal langsam unter die Haube, denn Addie ist eigentlich schon zu alt zum Heiraten, immerhin 24. Addie weiß nicht recht, was sie vom Leben will, aber sicher will sie nicht die Frau von Roger werden und seine zwei kleinen Kinder versorgen müssen. Sie will frei sein, will wenigstens die Möglichkeit haben, die Welt zu sehen und ein Leben jenseits ihres kleinen Dörfchens zu leben, wo jeder jeden kennt.
Als der Abend der Hochzeit heranbricht, brennt Addie einfach durch. Sie rennt in den Wald und betet fieberhaft zu allen Göttern, die ihr nur einfallen – sie will Roger nicht heiraten, sie will alleine bleiben, sie will frei sein. Und einer der Götter reagiert und zwar der, der nach Einbruch der Dunkelheit auf Gebete antwortet. Man hat Addie vor diesen speziellen Göttern gewarnt, aber sie ist zu verzweifelt, um zu bemerken, wie die Sonne untergeht.
Und so geht sie, halb stotternd, halb blind vor Verzweiflung einen folgenschweren Pakt ein: Sie wird losgelöst von den anderen Menschen ihr Leben leben dürfen, und zwar so lange, bis sie selbst sagt, dass sie genug hat. Und wer jetzt an Faust denkt, der liegt gar nicht so falsch, denn natürlich gibt es hier auch einen Preis, den Addie zahlen muss – und zwar ihre Seele. Aber Addie hört hinter sich die Rufe ihrer Eltern, die sie unbedingt vor den Altar zerren wollen, also willigt sie ein und die Rufe werden immer leiser.
Als Addie am nächsten Morgen auf dem Waldboden aufwacht und sich verdreckt und erschöpft auf den Weg nach Hause macht, muss sie feststellen, dass Pakte mit der Dunkelheit eine heikle Sache sind: Ihre Eltern können sich nicht daran erinnern, dass sie eine Tochter hatten, und auch sonst niemand im Dorf kann sich an sie erinnern – Addie ist wie ausradiert, sie ist losgelöst, sie ist frei –, auch wenn sie sich das so nicht vorgestellt hatte: Nicht nur kann sich niemand mehr an sie erinnern, sondern auch die letzte Begegnung mit ihr wird aus dem Gedächtnis der Menschen gelöscht, sobald Addie aus ihrem Blickfeld verschwindet.
Also macht sich Addie auf den Weg in die nächste Stadt. Dort lernt sie die weiteren Bedingungen ihres Pakts kennen: Sie kann nicht sterben. Zwar schmerzen ihre Füße von dem langen Marsch, aber es gibt keine Blasen. Zwar wird sie beim Versuch zu stehlen gewissermaßen erdolcht und die Wunde schmerzt höllisch, aber sie heilt auch innerhalb kürzester Zeit. Addie kann nicht altern, wird aber von allen Menschen umgehend vergessen. Sie kann keine Spuren hinterlassen, nichts aufschreiben und auch ihren eigenen Namen nicht aussprechen: Das sind die Bedingungen, die die Dunkelheit ihr diktiert hat und mit denen Addie nun leben muss. Sie ist in den Salons, in denen die großen Philosophen Diderot und Voltaire in Paris verkehren, sie kämpft sich durch das Paris der Revolution, sie sieht, wie sich die Dunkelheit die Seele Beethovens holt, sie hört Wagners Tristan und Isolde in München, sie ist während des Alkoholverbots in Chicago und trinkt Champagner. Und immer wieder inspiriert sie Künstler, damit wenigstens ein kleines bisschen von ihr die Zeit überdauert.
Schließlich, 2014, ist sie in New York und stiehlt aus einem Antiquariat ein Buch. Am nächsten Tag kommt sie wieder, um es gegen ein anderes zu tauschen und der junge Kerl hinter dem Tresen sagt etwas zu ihr, was noch nie jemand zu ihr gesagt hat: »Ich erinnere mich an Dich.« Addie scheint eine Lücke im Pakt mit der Dunkelheit entdeckt zu haben: Henry erinnert sich an sie und sie verlieben sich ineinander. Aber es kommt, wie es kommen muss, denn die Dunkelheit ist noch lange nicht fertig mit Addie …
Das unsichtbare Leben der Addie LaRue von V. E. Schwab ist ein grandioser Fantasy-Roman, in dem man mit einer herrlich sturen und trotz aller Widrigkeiten lebenslustigen Protagonistin am Rande der weltbewegenden Ereignisse der letzten 300 Jahre steht und sich gleichzeitig fragt, wie der Pakt mit der Dunkelheit wohl ausgehen wird. Addie macht einfach Hoffnung auf das Leben und all das, was es zu entdecken gibt – egal ob man einen Plan hat oder gar keinen. Ich hätte das Buch dringend gebraucht, als ich keinen oder zu viele oder einen todlangweiligen Plan hatte – also eigentlich immer. Auch heute noch.
Aber kleine Warnung: So ganz jugendfrei ist es nicht, also erst ab 15 loslesen – ab und zu wird es blutig, hässlich, sexy und reichlich traurig. Aber versprochen: Es gibt so etwas wie ein Happy End!